Die Gralsburg im Odenwald

Auf die Burg Wildenberg im Odenwald werden wir noch häufiger zurückkommen. Vieles, sehr vieles gäbe es zu ihr zu sagen.
Fürs erste möchte ich aus aktuellem Anlass (ein Fingerzeig des Schicksals gewissermaßen) nur einen kurzen Eintrag hier hinterlassen, an den ich später anknüpfen werde.
Einleiten möchte ich diese Reflexion mit drei kurzen Auszügen aus Otto Rahns "Reise zu den guten Geistern Europas". Im Kapitel "Amorbach" schreibt er:
"Mit zwei Literarhistorikern fuhr ich zur Burg Wildenberg, beim Dorfe Preunschen inmitten herrlichen Laubwaldes gelegen und Gralsburg im Odenwald genannt. Wohl waren sich meine Begleiter darüber einig, daß Wildenberg eine der schönsten deutschen Burgruinen ist. Sie stritten sich jedoch, ob der herrliche romanische Bau, seit den Bauernkriegen in Trümmern, den Minnesänger Wolfram von Eschenbach tatsächlich beherbergt habe. Schließlich meinte ich, man sollte zu allererst festzustellen versuchen, ob Wolframs Parzivaldichtung, geprägt von den Ketzerbewegungen jener Zeit, auf Burg Wildenberg mit Wissen oder im Auftrag jenes Ritters von Durne geschrieben worden sein kann. Meines Erachtens müßten Untersuchungen auf folgende Weise zum Ziel führen: Anverwandte der Herren von Durne, die Grafen Looz (ihr Hauspoet war der Minnedichter Heinrich Veldeke), seien durch den Ketzermeister Konrad von Marburg auf dem Mainzer Reichstag des Jahres 1233 der luziferianischen Ketzerei angeklagt worden. – Kaum hatte ich so gesprochen, als die zuvor uneinigen Gelehrten Bundesgenossen waren – gegen mich."
[...]
"Noch einmal bin ich, allein, zur Burg Wildenberg hinaufgegangen. Lange habe ich mir die selten schönen Steinmetzarbeiten und vielfältigen Steinmetzzeichen betrachtet. Dann schaute ich ins besonnte Land. Meine Gedanken gingen in die Ferne. Nach Osten, denn sie gingen den gleichen Weg, den eine Pyrenäenlegende jene Gräfin Esclarmonde von Foix, die Herrin der Gralsburg Montségur, als weiße Taube gegangen sein läßt: nach Asiens Bergen. Esclarmonde sei nicht gestorben, sagte mir ein Hirte. Noch heute lebe sie dort im irdischen Paradies …"
[...]
"Wolframs Dichtung »Parzival« dürfte zum größten Teil die gereimte Bearbeitung eines ursprünglich iranischen Textes sein. Als älteste literarische Vorlage sei das manichäische »Lied von der Perle« zu betrachten, eine der tiefsinnigsten Äußerungen des Menschengeistes, aus dem dritten Jahrhundert stammend und von edelsten iranischem Geiste erfüllt. Manches spräche dafür, daß dieses Lied von Mani selber, dem Begründer des Manichäismus, verfaßt worden sei. Wenn das Perlenlied das Erringen des obersten manichäischen Glaubenssymbols, der mystischen Perle (ghr-al), besinge, wenn Wolfram hingegen den Gral als einen Stein preise, so liege kein Widerspruch vor, da dem persischen Wort ghr-al auch die Bedeutung Edelstein geeignet habe."
In dem zuletzt zitierten Absatz bezieht sich Rahn auf die Arbeiten seines Zeitgenossen Friedrich von Suhtscheck (Friedrich von Suhtscheck-Hauschka – Wikipedia).
Ich habe die Burg Wildenberg zum ersten mal im August 2021 besucht, nachdem wir zuvor unseren Sommerurlaub in Wolframs Eschenbach verbracht hatten. Der Zeitpunkt erschien mir passend, da Wolfram tatsächlich, wie Rahn zu Recht vermutete, einen Teil seines Parzival auf der Wildenburg geschrieben und das Werk schließlich auf der Wartburg in Thüringen vollendet hat. In beiden Fällen lassen sich übrigens, wie ich an anderer Stelle noch darlegen werde, enge Verbindungen der Burgherren zur Gralsgeschichte nachweisen.
Die Suche nach dem Gral ist untrennbar mit der Frage nach dem Wesen Gottes verbunden und so beginnt auch die Gralsgeschichte, die Wolfram für die Nachwelt erstmalig in mittelhochdeutscher Sprache schriftlich festgehalten hat, mit der Frage des jungen Parzival an seine Mutter: „owe mu(o)ter, waz ist got?“
Parzivals Vater lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, er war also der Sohn einer Witwe. Rudolf Steiner schreibt hierzu:
"Sohn der Witwe ist eine Bezeichnung, die vielen Eingeweihten der nachatlantischen Zeit beigelegt wird, z.B. dem von dem Christus erweckten Jüngling zu Nain, der früher der Jüngling zu Sais gewesen war und später als Mani und dann als Parzival wiedergeboren wurde, oder Hiram Abif, dem Baumeister des Salomonischen Tempels. Es wird damit auf die vom Göttlichen verlassene, also gleichsam verwitwete menschliche Seele hingewiesen, die das Licht der Wahrheit in sich selbst suchen muss, um das Geistige in individueller Form neu aus sich heraus gebären zu können. Ab einem bestimmten Zeitpunkt konnten schon die ägyptischen Eingeweihten das lebendige Weltenwort, den Osiris, nicht mehr neben seiner Schwester und Gattin Isis finden und empfanden sich resignierend als Söhne der Witwe. Das war dadurch gekommen, dass Moses die Mysteriengeheimnisse des Osiris, in die er eingeweiht worden war, beim dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten mitgenommen hatte. Dadurch konnte Moses dann auf dem Sinai den "Ich-bin" erleben. (Lit.: GA 144, S. 45ff)" (aus: Sohn der Witwe – AnthroWiki)
Vor diesem Hintergrund finde ich es bemerkenswert, dass wir den Anfang der Frage des jungen (=noch im Anfang befindlichen) Parzival an seine Mutter auf einem Stein in der Arkadenmauer auf der Ostseite des Palas finden. Denn es ist gewissermaßen ein gleich dreifacher Anfang (im Bild links neben dem unteren Fenster- bzw. Torbogen):

Besser erkennbar in der Nahaufnahme:

Die Wand und somit auch die Fensteröffnungen sind übrigens nicht genau nach Osten ausgerichtet, sondern um 30° nach Süden versetzt, d.h. in Richtung 120°. In Verlängerung der Sichtlinie befindet sich die 12 Apostelzeche in Klosterneuburg, 620km Fußweg von der Wildenburg entfernt. Diese war eine jener sog. Gralsburgen, die ein Kelch aus grünem Edelserpentin wiederkehrend passierte. Wir haben hier also zwei Anlagen, die den (Bei-)Namen Gralsburg tragen, wovon die eine so ausgerichtet ist, dass das Fenster neben der "owe muter" Inschrift auf die andere weist. Zufall?
Die Ursprünge der unterirdischen Anlage in Klosterneuburg lassen sich auf rund 60.000 Jahre v.Chr. datieren. Bei der Burg Wildenberg vermutet man heute, dass sie auf unerschlossenem Land errichtet wurde. Eine Begehung vor Ort legt jedoch einen anderen Schluss nahe, nämlich dass man die Burg mit Bedacht unterhalb einer weitaus älteren Anlage errichtet hat, deren Mauern teilweise noch heute heute gut als solche zu erkennen sind. Diese ältere Felsenburg wurde bei der Errichtung der Burg Wildenberg weder zerstört noch überbaut, sondern man hat die alte mit der neuen Burg über einen Weg verbunden. Der Brückenpfeiler, über den dieser Weg führte, steht noch heute. Wir werden auf diese ältere Anlage gleich noch einmal zurückkommen.
Zwar war das Wetter am Tag meines ersten Besuchs auf der Wildenburg, so weit ich mich erinnere, überwiegend bewölkt, aber wundersamerweise lichteten sich die Wolken immer wieder im passenden Moment, um mir u.a. die folgenden Aufnahmen zu ermöglichen.


Folgt man dem Weg, der von Preunschen zur Burgruine hinauf führt, noch ein Stück weiter nach oben, gelangt man südwestlich der Burg Wildenberg zum Glasa Felsen, der einst über eine Brücke mit dieser verbunden war. Der Pfeiler ist erhalten geblieben:


Brückenpfeiler zwischen Wildenburg und Felsenburg (Glasa Felsen)

Glasa Felsen: aus dieser Perspektive ist die Frage, ob es sich um eine natürlich gewachsene,
oder von Menschen bearbeitete Struktur handelt, nur schwer zu beantworten

Dieser Anblick wiederum erinnert wiederum eher an eine Mauer als an eine natürlich entstandene Felsformation.
Im Felsen befindet sich eine Kammer, die durch den im folgenden Bild zu sehenden Eingang betreten werden kann:




An dieser Stelle möchte ich, die Felsenburg betreffend, zunächst die folgenden Punkte festhalten, damit sie nicht verloren gehen:
- Die Felsenburg (Glasa Felsen) liegt etwas höher als die Wildenburg. Diese Konstellation erinnert mich an die Burg Münzenberg in der Wetterau, die ebenfalls auf einem etwas niedrigeren Hügel als der benachbarte Tellerberg erbaut wurde. Der Grund dafür dürfte in beiden Fällen derselbe gewesen sein: das Vorhandensein einer älteren Struktur, für die man einen geringfügigen militärischen Nachteil beim Errichten der neuen Burg in Kauf zu nehmen bereit war.
- Laut Duden geht das mittelhochdeutsche und althochdeutsche Wort glas, (niederländisch glas, englisch glass) auf germanisch *glasa- („Bernstein“) zurück.
- Die Mischung aus natürlich gewachsenem Fels und menschlicher Bearbeitung erinnert mich an die Externsteine.
- Man hat beim Bau der Burg Wildenberg mit hoher Wahrscheinlichkeit die Felsenburg also bereits vorgefunden (aber möglicherweise auch weitere Bearbeitungen an ihr vorgenommen).
- Dass man die neue mit der alten Burg verbunden hat, legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um ein altes, vorchristliches Heiligtum gehandelt haben könnte. Die Verbindung des alten mit dem neuen hätte dann auch eine symbolische Bedeutung.
- Auch das Mysterium des Grals reicht bis in die vorchristliche Zeit zurück und es ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass die Burg Wildenberg auch die deutsche Gralsburg bzw. die Gralsburg im Odenwald genannt wird.
--- Fortsetzung folgt ---
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